Werthers Gedächtnis

Seit ein paar Jahren arbeite ich an einem Projekt, das ich "Werthers Gedächtnis" getauft habe. Es ist eine Art Ortsfamilienbuch meiner Heimatstadt Werther, geht aber letztlich doch weit darüber hinaus. Mein Ziel ist es, alle Wertheraner Familien von 1654 bis 1920 zu erfassen und zu vernetzen.

Die meisten Ortsfamilienbücher decken nur eine bestimmte Quelle ab, z.B. die evangelischen Kirchenbücher. Das ist auch völlig in Ordnung, war aber nicht das, was mir vorschwebte.

Wie "funktioniert" also Werthers Gedächtnis? Hier ein - theoretisches - Beispiel: 

Nehmen wir einfach einmal an, dass ich eine Heirat aus dem Jahr 1880 gefunden habe. Aus dieser Ehe gehen 10 Kinder hervor, von denen vier schon relativ schnell nach ihrer Geburt sterben. Ich weiß, dass der Vater der Familie Gastwirt ist, und dass die anderen Kinder zumindest bis 1904 (bis zu diesem Jahr sind die evangelischen Kirchenbücher für Werther im Landeskirchlichen Archiv in Bielefeld einsehbar) noch nicht in Werther gestorben sind.

Das alles sind Daten, die aus dem evangelischen Kirchenbuch gezogen werden können. Trotzdem hat man das Gefühl, die Familie noch nicht wirklich zu kennen. Es sind einfach zu viele lose Enden vorhanden. 

Wenn ich nun aber in einem Buch namens "Das Kirchspiel Werther und der Krieg von '14-'18" die Information finde, dass die zwei ältesten Söhne der Familie im Ersten Weltkrieg kurz hintereinander gefallen sind? Wenn dort Fotos der Gefallenen und Auszüge aus ihrer Feldpost abgedruckt sind?

Dann bekommt die Familie plötzlich ein Gesicht.Und auch diese Informationen werden unter Angabe der Quelle eingearbeitet.

Wenn mir dann noch jemand ein Foto zusteckt, auf dem das Haus der Familie im Jahr 1910 abgebildet ist, dann wird auch dieses Foto mit Quelle aufgenommen.

Stoße ich bei meiner Arbeit darauf, dass ein Wertheraner in ein anderes Kirchspiel verzogen ist, dann wird auch das vermerkt. Sehe ich, dass ein Wertheraner ausgewandert ist, dann wird auch die Auswanderung notiert.

Finde ich einen alten Torbogen und darf ihn fotografieren, dann wird ein Bild von dem Torbogen bei der entsprechenden Familie eingefügt. 

Auf diese Art und Weise kann man eine Familie langsam, aber stetig wieder aus der Vergessenheit herausholen.

Die meisten von uns können noch nicht einmal ihre acht Urgroßeltern mit Namen benennen, warum sollte man diese Anstrengung dann auf eine ganze Stadt ausdehnen?

Ganz einfach: Es macht mir einen riesigen Spass, dieses Puzzle zusammenzusetzen. Es ist eben nur ein großer Aufwand. 

Es wird noch ein paar Jahre dauern, bis Werthers Gedächtnis soweit gediehen ist, wie ich es mir vorstelle. Gut, dass ich damit angefangen habe, also ich Mitte 30 war. Im Moment stehe ich bei ungefähr 2.000 Seiten, und ich arbeite seit ungefähr dreieinhalb Jahren daran. Es ist schon erstaunlich, was sich in einer Kleinstadt alles abgespielt hat. Was mit einem einzigen Aktenordner anfing, hat sich inzwischen zu einer ordentlichen Sammlung gemausert. 

Die Arbeit an Werthers Gedächtnis läuft aber neben meiner "normalen" Arbeit. Ich werde nicht dafür bezahlt; ich habe keinerlei Sponsoren. Deshalb kann es eben auch mal vorkommen, dass ich zwei Wochen lang überhaupt nicht dazu komme, weitere Ergänzungen zu schreiben. Es wird eben dauern, solange es dauert.

Wenn jemand also Informationen hat, die eine Wertheraner Familie betreffen, dann wäre ich über jede dieser Informationen froh. Am meisten würde ich mich über alte Fotos freuen, denn es ist doch immer wieder schön, wenn ein "alter Wertheraner" ein Gesicht bekommt!


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